Wann sich Menschen entscheiden, den Partner zu verlassen
Nach dem Sommerurlaub trennt sich ein Drittel aller unglücklichen Paare. Die Zwangsnähe in den Ferien halten sie nicht aus. Doch eine Scheidung schaffen nur die Selbstbewussten.
Unter den glücklichen Sommerurlaubern fallen die wenigen Unglücklichen auf. Pärchen, die sich im Restaurant anschweigen, am Strand angiften, den Abend gelangweilt vor dem Hotelfernseher verbringen. Der Sommer und Weihnachten, sagt der Berliner Therapeut Wolfgang Krüger, sind Hochzeiten für Trennungen. Dann ist seine Praxis wieder voll, mit verzweifelten Paaren, die keinen blassen Schimmer haben, wie es mit ihnen weitergehen soll. Ein Drittel trennt sich nach dem Sommerurlaub, ein weiteres Drittel nach den Feiertagen im Dezember. Das letzte Drittel, sagt Krüger, verteilt sich über das restliche Jahr.
Paare ohne gute Basis für ihre Beziehung schafften es zwar noch durch den Alltag, aber die Zwangsnähe im Urlaub halten sie nicht aus. „Eine Trennung ist immer eine Katastrophe“, sagt Krüger. „Und das Schlimme ist: In den meisten Fällen ließe sie sich vermeiden.“
Im Schnitt dauert es drei Jahre, bis ein unglücklicher Partner geht Die Paare, die in der Scheidungsstatistik des Jahres 2013 auftauchen, scheinen diese Möglichkeit nicht mehr gesehen zu haben. Zwar sank die Anzahl der Scheidungen im vergangenen Jahr hierzulande um gut fünf Prozent, doch es ist ein Absinken auf hohem Niveau – zumal auch weniger Ehen geschlossen werden als noch vor einigen Jahren. Jede dritte Ehe scheitert nach wie vor. Dabei ist es keine leichte Entscheidung für unzufriedenen Paare, getrennte Wege zu gehen. Im Schnitt dauert es drei Jahre, bis ein unglücklicher Partner sich endlich ein Herz dazu fasst. Der konkrete Anlass mag dann zwar individuell verschieden sein, doch meist steckt hinter der Trennung nur ein einziger Grund: ein Totalverlust an Nähe. Frauen spüren den eher als Männer – und ziehen häufiger die Konsequenzen daraus.
GESCHWISTER BEEINFLUSSEN GLÜCK UND PARTNERSCHAFT Mit dem Gedanken, sich vom Partner zu trennen, spiele fast die Hälfte aller Menschen gelegentlich, sagt Krüger, der das Buch „Freiraum für die Liebe – Nähe und Abstand in der Partnerschaft“ geschrieben hat. Das sei durchaus normal. Schließlich entscheide man sich nicht nur ein einziges Mal für den Partner, sondern im Laufe der Beziehung immer wieder. Jeder frage sich in unterschiedlichen Abständen, wie es eigentlich um die Partnerschaft stehe, so der Therapeut. Aber auch wenn das Fazit dabei nicht nur einmal, sondern häufig negativ ausfällt, bedeutet dies nicht automatisch das Ende der Beziehung. Denn ob und wann man sich trennt, hängt von vielen Bedingungen ab – und einige davon liegen gar nicht in der Partnerschaft selbst.
Wirtschaftskrisen können Beziehungen stabilisieren So zeigt der Einbruch der Scheidungszahlen ab dem Jahr 2007 nicht etwa, dass die Qualität der Beziehungen besser geworden ist. Die geringere Anzahl an Scheidungen in den vergangenen Jahren spiegelt eher die globale Finanzkrise wider. Denn Beziehungen, egal ob glückliche oder unglückliche, werden in gesellschaftlichen Krisenzeiten stabiler. Man könnte auch sagen: leidensfähiger. Menschen werden in unsicheren Zeiten nicht nur pragmatischer, sondern auch risikoscheuer, und ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit nimmt zu, sagt Doris Wolf, psychologische Psychotherapeutin in Mannheim. „Wir möchten das, worüber wir glauben, Kontrolle zu haben, nämlich unsere Partnerschaft, nicht auch noch aufgeben“, sagt sie. Während wirtschaftliche Tiefs Beziehungen also zunächst stabilisieren, führen Zeiten des wirtschaftlichen Hochs, etwa zur Zeit der Studentenbewegung, schnell zu einem Anstieg der Scheidungszahlen. Natürlich wird ein unglücklicher Partner keine ausgeklügelte Analyse des Wirtschaftswachstums vornehmen, bevor er sich für oder gegen eine Trennung entschließt. Aber er hat ein Gefühl dafür, wie es um seine momentane Lebenssituation bestellt ist, finanziell, sozial und emotional. Psychologen wie Fridtjof Nussbeck von der Universität Bielefeld nennen dieses diffuse Gefühl einfach Wohlbefinden.
Wer sich allgemein im Leben wohlfühlt, ist trennungsbereiter Der Wissenschaftler hat zusammen mit Kollegen untersucht, ob dieses Wohlbefinden mit darüber entscheidet, wer sich trennt und wer nicht. Und tatsächlich zeigte diese Studie mit 2600 Schweizer Paaren, dass Menschen, die sich in ihrem Leben allgemein wohler fühlen, trennungsbereiter sind – und jene, die sich unwohl fühlen, eher an ihrer Partnerschaft kleben. Wer in seiner Beziehung unglücklich ist, aber körperlich und psychisch gesund, sozial gut vernetzt und finanziell auf eigenen Beinen steht, wagt den Schritt ins Singleleben also eher, schreibt Nussbeck in der „Zeitschrift für Familienforschung“. Betrachtet man die Scheidungszahlen vergangenen 50 Jahre, die sich seit dem Jahr 1955 vervierfacht haben, dann stellt man fest: Die hohe Trennungsrate reflektiert vor allem das gesteigerte Wohlbefinden der Frauen. 52 Prozent aller Scheidungsanträge wurden im vergangenen Jahr von ihnen eingereicht. Die Trennung werde ihnen inzwischen vor allem dadurch erleichtert, dass sie zunehmend berufstätig und damit wirtschaftlich unabhängig seien, sagt Doris Wolf, die ein Buch mit dem Titel „Wenn der Partner geht. Trennungsschmerz und Liebeskummer bewältigen“ geschrieben hat. Hinzu komme, dass die Scheidung mittlerweile einfach zur gesellschaftlichen Realität gehöre und Geschiedene damit auch mehr Möglichkeiten hätten, nach der Trennung einen neuen Partner zu finden.
Wichtig sei auch, ergänzt Wolfgang Krüger, dass viele Paare heutzutage kinderlos blieben. Denn solange es kleine Kinder im Haus gibt und der Alltag den Partnern alles abfordert, halten viele an einer eigentlich unerträglich gewordenen Beziehung fest – so lange, bis die Kleinen irgendwann aus dem Haus sind. Auch das gibt die Scheidungsstatistik wieder: Die Anzahl der Scheidungsanträge, die nach 26 oder mehr Ehejahren gestellt werden, hat sich seit 1993 verdoppelt. Das entspricht 14 Prozent aller Scheidungen im vergangenen Jahr.
Männer wollen in Ruhe gelassen werden
Aber warum sind es eher die Frauen, die den Schlussstrich ziehen?
Na ja, sagt Krüger, die Bedürfnisse und Erwartungen von Männern und Frauen seien häufig einfach sehr unterschiedlich. „Wenn man die Bedürfnisse von Männern überspitzt auf den Punkt bringt“, so der Psychologe, „dann kann man sagen: Sie wollen ein Minimum an Anerkennung, Versorgung und Erotik. Und: Sie wollen in Ruhe gelassen werden.“ Frauen seien da wesentlich anspruchsvoller. Nicht zuletzt, weil sie sich meist in Beziehungen mehr um das leibliche und seelische Wohl ihrer Partner kümmern als umgekehrt, wie eine 2005 erschienene Studie von US-Wissenschaftlern zeigte. Männer profitieren also meist mehr von einer Beziehung. Die Frauen wünschen sich daher eine wirkliche emotionale und praktische Partnerschaft, in der sich Geben und Nehmen die Waage hält.
Um das zu erreichen, seien sie auch ziemlich kompromissbereit, so Krüger. Leider beiße sich diese Veränderungsbereitschaft aber mit dem Wunsch nach Ruhe der Männer. So sagen 70 Prozent der Frauen: Es wäre gut, wenn mein Mann etwas ändern würde. Und 90 Prozent der Männer sagen: Ich lasse mich aber nicht ändern. Besonders gern sähen es Frauen, dass ihre Partner ein paar Worte mehr am Tag sprächen, als sie es von sich aus tun. Zwei Drittel geben das in Befragungen an.
Wenn die Männer daraufhin denken, man müsse nicht ständig reden, sagt Krüger, dann verkennen sie, dass wirkliche Nähe und Intimität immer im Gespräch beginnt. Und dort stirbt sie in dysfunktionalen Beziehungen auch zuerst, sagt er. „Das Entfremden beginnt in den Gesprächen zwischen den Partnern und setzt sich beim Küssen fort, das nach und nach wegfällt. Erst am Ende lässt man auch den Sex, und dann ist der Zustand der Beziehung wirklich schon bedenklich“, sagt Krüger.
Mangelnder Sex macht auf Konflikte aufmerksam Zusammen lachen und sich freuen können, den anderen trösten, motivieren und unterstützen, das schaffe die Basis für das, was jeder in einer Beziehung suche: emotionale Geborgenheit, Nähe, Zuverlässigkeit und Verständnis. „Aber wenn man mit dem Partner irgendwann nur noch über die Sonderangebote aus dem Supermarkt redet, dann hat die Partnerschaft nur noch den Charme einer Wohngemeinschaft“, sagt Krüger.
Haben Männer also geringere Ansprüche an eine Beziehung, wollen dafür aber auch weniger für die Partnerschaft tun? Nein, sagt der Therapeut. Sie sind im Durchschnitt genauso unzufrieden wie Frauen, und auch bei ihnen ist so gut wie immer ein Totalverlust an Nähe der Grund dafür. Nur in seltenen Fällen, wie bei unterschiedlichen Einstellungen zum Kinderwunsch, seien es bei beiden Geschlechtern eher rationale Gründe, die zu Trennungsgedanken führen. Aber Männer arrangieren sich häufig lieber mit ihrer Unzufriedenheit, als sich zu trennen – etwa mit einer Affäre. Dennoch ist es nicht fehlender Sex, der zu Trennungsabsichten führt. „Einige behaupten das, aber es ist Blödsinn“, sagt Krüger. Mangelnder Sex mache auf Konflikte aufmerksam, das ja. Aber er sei die Folge gravierender Beziehungsprobleme, nicht ihr Ursprung. Auch andere Belastungen, welche die Beziehung schwer machen können, wie Arbeitslosigkeit oder eine chronische Erkrankung, sind meist nicht der wahre Grund für eine darauf folgende Trennung – sondern zeigen, dass das Fundament der Beziehung nicht ausreicht, um diese Probleme gemeinsam zu bewältigen. Schon vor der Krise seien dann wichtige Bedürfnisse nicht erfüllt worden, sagt Doris Wolf. Oft fehle den Partnern auch das Teamgefühl und eine Vision, wie es nach der Krise weitergehen könnte. Dabei ist das Zusammengehörigkeitsgefühl ein wichtiger Schutz, wie eine US-amerikanische Überblicksstudie aus dem Jahr 2010 zeigt. Die Idealisierung der Beziehung schützt die Partnerschaft sogar noch stärker als die Liebe und Verbindlichkeit in ihr.
Beziehungen brauchen viel Pflege Dennoch dauert es auch bei großer Unzufriedenheit oft lange, bis einer der Partner die Konsequenzen zieht. „Trennung ist so gut wie nie ein spontaner Entschluss“, sagt Krüger. Vorher gebe es unzählige kleine Merkmale an denen man im Alltag spüren könne, dass etwas nicht stimmt – auch wenn in seiner Praxis vor allem Männer gern behaupten, die Trennung habe sie aus heiterem Himmel getroffen.
Das alles müsste nach Ansicht des Therapeuten gar nicht sein, wenn es nur selbstverständlicher wäre, über die Liebe zu sprechen und zu lernen, wie sie funktioniert. Beziehungen seien nun mal keine Selbstläufer, sondern brauchten viel Aufmerksamkeit und Pflege, sagt er. Wenn Paare das auch nach der ersten Verliebtheit beherzigen würden, wäre seine Praxis nach diesen Sommerferien wohl zumindest etwas leerer.
